Verlag 28 Eichen


Cover: Olaf R. Spittel (2014), unter Verwendung des Gemäldes
„The Accolade“ (1901) von Edmund Blair Leighton (Ausschnitt).

Erstveröffentlichung der Original-Buchausgabe:

Smith, Elder & Co., London 1906.

Erste Buchausgabe in den USA:

McClure, Phillips & Co., New York 1906.

Erste Buchausgabe für den Kontinent:

Bernhard Tauchnitz, Leipzig 1906.

Erstveröffentlichung in The Strand Magazine:

Dezember 1905 bis Dezember 1906

 

Sir Arthur Conan Doyle: Sir Nigel
Historischer Roman. Originaltitel: Sir Nigel (1906)
Übersetzung aus dem Englischen von Nadine Erler
Sir Arthur Conan Doyle: Ausgewählte Werke, Band 38
Herausgegeben von Olaf R. Spittel
Verlag 28 Eichen, Barnstorf 2014. 328 S. 25,- €.
Format 12 x 19, 348 g. Softcover
ISBN: 978-3-940597-63-2

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Der Abt schüttelte den Kopf. „Ich habe schon viel von den wilden Streichen dieses jungen Mannes gehört, aber jetzt kennt er wirklich keine Grenzen mehr, wenn es stimmt, was Ihr sagt. Es war schlimm genug, daß er die Hirsche des Königs in Woolmer Chase erlegt hat oder Hobbs, dem Hausierer, beinahe den Schädel eingeschlagen hat, so daß der Ärmste sieben Tage lang mit dem Tod rang und nur dadurch gerettet wurde, daß Bruder Peter sich so gut in der Kräuterheilkunde auskennt. Aber Hechte im Teich des Abts aussetzen – wieso sollte er einen so teuflischen Streich spielen?“

„Weil er das Haus Waverley haßt, ehrwürdiger Vater. Er ist überzeugt, daß wir uns widerrechtlich auf dem Land seines Vaters eingenistet haben.“

„Womit er nicht ganz unrecht hat.“

„Aber ehrwürdiger Vater, wir haben uns nicht mehr angeeignet, als uns laut Recht und Gesetz zustand.“

„Richtig, Bruder, aber unter uns gesagt: Die vollere Geldbörse kann das Zünglein an der Waage der Justiz sein. Wenn ich an dem alten Haus vorbeigehe und diese betagte Frau mit ihren runzligen Wangen sehe und in ihrem düsteren Blick die Flüche lese, die sie nicht auszusprechen wagt, dann wünsche ich mir oft, wir hätten andere Nachbarn!“

"Sir Nigel" erzählt die Abenteuer des jungen Squire Nigel Loring zu Beginn des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Ein klassischer Ritterroman aus einer Zeit großer Heldentaten, schrecklicher Gewalt und edlen Rittertums zur Zeit König Edward III und des Schwarzen Prinzen aus dem Hause Plantagenet.

 

 

Der Fluß schlängelte sich gemächlich durch die Wiesen ins Tal hinab. An seinem Ufer stand eine Unmenge von Pferden. Das waren die Schlachtrösser der französischen Kavallerie, und der blaue Qualm von hundert Feuern zeigte, wo König Jeans Männer ihr Lager aufgeschlagen hatten. Vor dem Hügel, auf dem sie standen, hatten die Engländer ihr Lager aufgeschlagen, aber es brannten nur wenige Feuer, denn sie hatten kaum etwas zum Braten – außer ihren Pferden. Das Lager erstreckte sich vom Fluß über eine Meile bis zu einem undurchdringlichen Wald, der die Armee vor einem Angriff von der Seite schützte. Vor ihnen befand sich eine lange dichte Hecke und reichlich zerfurchter Boden, in der Mitte geteilt durch einen einzigen Trampelpfad. Unter der Hecke und entlang der Front lagen scharenweise Bogenschützen im Gras. Die meisten von ihnen schlummerten friedlich ausgestreckt in der warmen Septembersonne. Dahinter befanden sich die Quartiere der Ritter, und überall flatterten die Banner und Fanons mit den Wappen der Ritterschaft von England und Guienne.

Helle Strahlen in finstere Zeit
 

Niemand muß Conan Doyles Selbsteinschätzung teilen, wonach er, folgt man der Biografie Daniel Stashowers, diesen Roman und den eng mit ihm verflochtenen "The White Company" für seine literarisch besten Leistungen hielt. Anderseits kann man den Stolz eines Autors verstehen, der sich erfolgreich in eine nun allerdings fremde Zeit hineindenkt mit einem ritterlichen Moralkodex, der Verrat und List auch zwischen Gegnern unterbindet, im Gegenzug dann wieder unerbittlichen Grausamkeiten und himmelschreienden Absurditäten Tür und Tor öffnet. Das Buch ist innerhalb der Gattung, die es bedient, meisterhaft gebaut. Die bis zum bitteren Ende durchgehaltenen ritterlichen Grausamkeiten einiger Kapitel könnten diesbezüglich empfindsamere Leser abschrecken, es gelingt Doyle dessen ungeachtet jedoch, ein Feuerwerk leuchtender und sogar heiterer Farben in die Landschaft und das gesellschaftliche Leben des 14. Jahrhunderts zu schicken. Die Geschichte endet für die Hauptpersonen glücklich. Man kann selbstredend kaum beurteilen, inwieweit das vermittelte Bild der Historie entspricht, das Buch unterscheidet sich aber entschieden von historischen Romanen, die offenkundig heutige Menschen mit den Stoffen früherer Jahrhunderte drapieren. Für Doyle äußerst typisch sind komplexe Ablaufsschilderungen - im vorliegenden Fall (blutig ausgetragene Freundschafts-)Turniere (um der Tatenlosigkeit eines Waffenstillstands zu entgehen), Erstürmung einer Burg, Aufeinanderprallen gegnerischer Heere - die gegliedert und aufgebaut sind wie ein Krimi und soghafte Lesespannung erzeugen. Ebenso typisch ist aber auch die Ambivalenz, die Doyle entwickelt und die vermutlich seine eigene war: große Faszination vom Mut, der Geschicklichkeit und Disziplin ritterlicher Menschen und dem Planungsvermögen herausragender Strategen, Erfassen der Absurdität und mörderischen Stumpfsinnigkeit kriegerischer Schlächtereien auf der anderen Seite. Die schwer auf dem Körper lastende, schwerbewegliche Ritterrüstung wird an mehr als einer Stelle zum Symbol für eine absurde Zeitepoche. Aber glauben die meisten Zeitgenossen im Westen heute nicht auch, mithilfe von Technik die Natur zu überlisten, ja, noch absurder: sie weit darüber hinausgehend zu "verbessern"? Und machen sie unter der Last der Apparaturen nicht ebenso schlapp wie die Ritter, die nach einigen Stunden Kampftätigkeit den bewaffneten Arm nicht mehr heben konnten oder erschöpft vom Pferd stürzten, wenn sie denn nicht vorher schon einem grausamen Anschlag erlegen waren? Es hieße vielleicht den Bogen überspannen, dem Roman solche Symbolik zu unterstellen. Die symbolische Lesart greift vielleicht besser bei Doyles Challenger-Romanen, dem Geiseldrama "Ein gefährlicher Ausflug" oder der Parabel "Mr. Ruffles Haw". Dennoch lohnt auch "Sir Nigel" in der soliden Neuübersetzung von Nadine Erler einen zweiten Blick.

Klauspeter Bungert

Quelle: https://www.amazon.de/review/R1Q7U3GQ7CIZUR/ref=pe_1604851_57868791_cm_rv_eml_rv0_rv