Coverfotografik „Nebelmeer“: Olaf R. Spittel (2013).Erste
Original-Buchausgabe: Arthur Conan Doyle. The Land of Mist. Hutchinson & Co.,
London 1926.
Die Übersetzung aus dem Englischen von Eve Fritsche erschien erstmals in:
Conan Doyle. Das Nebelland. H. Wille Verlagsbuchhandlung, Berlin 1926. Wille’s
Illustrierte Kriminal-Bücherei, 27/28.
Die Übersetzung wurde durch den Herausgeber bearbeitet, allerdings nicht
modernisiert. Mit Fußnoten des Herausgebers.
REZENSION
Umstrittenes Spätwerk mit großen Qualitäten
Doyles bereits im Erscheinungsjahr 1926 auf deutsch übersetztes und jetzt in
korrigierter Fassung neu aufgelegtes Nebelland (The Land of Mist) bereitete
Freunden wie Biografen des Autors Kopfzerbrechen. Der bedeutende und bedeutend
erfolgreiche Erzähler und vormalige Arzt bekannte sich mittlerweile offensiv zum
Spiritismus und versuchte, seine Leser erstmals auch in einem Roman zu
missionieren, zulasten des Niveaus.
Der gescheite Erfinder des gescheitesten Detektivs der Weltliteratur – geben wir
doch endlich die Dimension von Doyles Schriftstellergaben zu! - habe wohl seine
Denkkraft eingebüßt, womöglich als Tribut an das Alter (mit 66 galt er als nicht
mehr ganz jung). Aus einem scharfsinnigen Denker sei ein gutgläubig verführbarer
Greis und intellektuelles Leichtgewicht geworden.
Mit Vorurteilen dieser Art ging auch ich zunächst an die Lektüre heran – und
wurde kraß eines besseren belehrt! Bereits darin, wie Doyle die gegen das Buch
und seine spiritistischen Aussagen erhobenen Vorwürfe vorwegnehmend diskutiert,
zeigt sich das bekannte Feuer, die Frische und, wenn auch ein wenig
zurückgenommener, der Humor. Das Buch entlarvt mitreißend wie ein Lavastrom den
Umgang von Journalisten, aber auch der akademischen Elite und der Justiz mit
Informationen, die ihr nicht ins Konzept passen, und pointiert eine in der
Substanz völlig unverbrauchte Satire auch heutiger Medien und Bildungsanstalten.
Man unterschätzt das Potential des von Olaf Spittel als inzwischen 36. Band
seiner Doyle-Reihe herausgegebenen Werks völlig, wenn man es auf seine Aussagen
zum Spiritismus festlegt und verengt. Es hieße, genau den Tricks, der
Effekthascherei und der Oberflächlichkeit auf den Leim zu gehen, die es so
überzeugend angreift. Denktabus und vorgefertigte Klischees werden unter dem
Scheinsiegel wissenschaftlicher Sauberkeit auch heute noch immer wieder benutzt,
um Interessen zu stützen, Gleichklang zu erzwingen, Eigeninitiative zu
blockieren und Existenzen zu zerstören.
Mehrfach geht der studierte Mediziner Doyle – selbstkritisch? - mit einer
Haltung ins Gericht, die, im Sinne einer Redensart und Molières, lieber den
Patienten vom Arzt umbringen als von einem Unberufenen kurieren läßt.
Da wird eine verzweifelte Witwe und Mutter dreier Kinder durch die Ratschläge
eines „Geistes“ ins Leben zurückgeführt (Kap. 6), der Überbringer aber wegen
Formverstoßes laut britischem Recht (akribisch von Doyle dargelegt) zu
Haftstrafe verurteilt (7). Da tun zwei schwer mißhandelte Geschwister, 10- und
8jährig, aufgrund einer „Eingebung“ das rettend Richtige, indem sie die
elterliche Wohnung verlassen, ehe es zu spät ist (11). Da erlangt ein
medizinisch aufgegebener MS-Patient infolge von „Botschaften“ und deren
Umsetzung vollständige Genesung (14 ff.).
Die Kapitel, in denen Eigenbeobachtung aus spiritistischen Sitzungen, fremde
Quellen, aber auch einige Betrugsfälle zitiert werden, leiden stellenweise unter
mangelnder epischer Distanz. Varietee lasse ich mir gern gefallen, aber für
einige „ektoplasmische Materialisationen“ hätte ein stärkerer Filter gutgetan.
Abweichend vom Gewohnten mischt sich Doyle hier mit bekennerhaften
Eigenkommentaren ein. Das ist aber bitte nicht zu verwechseln mit verminderter
Zurechnungsfähigkeit. Bis auf diese Passagen im dritten Viertel unmittelbar vor
der umso ergreifender erzählten Kindesmißhandlungsepisode in Londons
Proletarierviertel ist es ein packendes Buch, von dem eine große Sogwirkung
ausgeht.
Ob der Arzt Doyle wußte, daß Zeitgenossen wie Gerson, Bircher-Benner, Brauchle,
Eppinger, aber auch einige Therapeuten ohne akademische Weihen, mit Methoden des
„Mediums“ von Kapitel 14 durchschlagende Heilerfolge bei sogenannt unheilbar
Kranken dokumentieren konnten? Die Heilung führt der Roman anders als sie
hauptsächlich auf „geistige Einflüsse“ zurück, nennt aber die entscheidenden
Grundlagen immerhin beiläufig (S. 219): „Was ihr Modernen eine Hungerkur nennt,
würde nicht übel sein.“
Das erinnert an den Onkologen, der eine schulmedizinisch aufgegebene Patientin
mit Peritonealkanzerose vor 2 ' Jahren geradezu anpflaumte, was ihr einfiele,
eine „Hungerdiät“ anzufangen. Sie zog unter Anleitung meiner Frau die
Ernährungsumstellung nach den obengenannten Forschern durch und erreicht
demnächst vital die 80. Neulich beglückwünschte der Arzt die alte Dame zu ihrer
Entscheidung damals und stellte infrage, ob die Medizin die Patienten noch
länger mit Chemotherapien quälen dürfe. Doyles „Geistheiler“ kennt darüber
hinaus die enge Verbindung zwischen Darmtätigkeit, Erkrankung und
Hautbeschaffenheit.
Gibt die rührende Domestizierung des aufbrausenden Challenger (dt.
„Herausforderer“) und Wandlung zu einem menschenfreundlichen, ergebnisoffenen
Forscher, verbunden mit einem höchst aufschlußreichen persönlichen
„Offenbarungsfall“ (im Zusammenhang mit einer in den anderen Challenger-Romanen
allerdings verschwiegenen Anfangskarriere als Arzt), nicht eine klassische
Parabel ab? Stehen Alternativen zur heutigen Sackgassenmedizin, ungeachtet
harter Fakten, nicht ähnlich auf dem Abstellgleis wie, sagen wir, der US-Politik
unliebsame Faktenanalysen kriegerischer Konfliktherde, Forderungen nach
Eindämmung der Bankenwillkür oder eben, in Doyles Lesart, der Spiritismus?
Die Bereiche sind austauschbar. Man muß, ja sollte den Roman nicht auf der
beschränkten Folie eines schwer zu beurteilenden Phänomens einer vergangenen
Epoche lesen.
Klaus-Peter Bungert (Trier) |
Sir Arthur Conan Doyle: Das Nebelland.
Roman. Originaltitel: The Land of Mist (1926)
Aus dem Englischen von Eve Fritsche.
Sir Arthur Conan Doyle: Ausgewählte Werke, Band 36
Herausgegeben, bearbeitet und mit Anmerkungen versehen von
Olaf R. Spittel
Verlag 28 Eichen, Barnstorf 2014. 272 S. 24,00 €.
Format 12 x 19, 300 g.
Softcover
ISBN: 978-3-940597-57-1
Email an den Verlag
Dies ist der die Abenteuer des Professor Challenger
abschließende Roman und zugleich eine Komplettierung Doyles autobiographischer
Romane "Am Rand des Unbekannten" und "Die Bekenntnisse des Stark Munro".
Unverkennbar ist Doyles missionarischer Eifer in Sachen Spiritismus - ein
Anliegen, das ihn sein ganzes Leben über antrieb, aber seine späteren Jahre fast
völlig ausfüllte und ohne dessen Verständnis die Persönlichkeit Doyles
unvollständig bleibt.
"Seit Jahren trage ich einen psychischen Roman in mir, der sich realistisch mit
jeder Phase des Themas beschäftigen sollte, mit jedem Für und Wider. Ich
wartete, ich wußte, er würde kommen. Nun ist er gekommen, mit Volldampf, und ich
kann kaum meinen Stift festhalten, , so schnell geschieht das - etwa 12 oder
15.000 Wörter in drei Tagen.
Malone, ein wißbegieriger Zeitungsmann und Challenger als ein außenstehender
Skeptiker sind zwei der Hauptcharaktere, aber jeder Typ wird gezeichnet.
Ich glaube nicht, daß es jemals von jemandem unternommen wurde, der den
Gegenstand gründlich bis zum Ende in den Fingern hatte." (Doyle)
"Sieh, wie alles sich zum Schlechten gekehrt hat! Wir lernten, die Luft zu
beherrschen, um die Städte in Schutt zu legen. Wir lernten, unter dem Meere zu
fahren, um Seeleute zu ermorden. Wir beherrschen die Chemie, um sie zu
Sprengstoffen und Giftgasen zu verarbeiten. So geht es tiefer und tiefer hinab.
Gegenwärtig bemühen sich die besten Köpfe aller Nationen darum, ihre Mitmenschen
zu vergiften. Hat Gott dafür diesen Planeten geschaffen, und wird er zusehen,
wie das Unheil ungehemmt seinen Lauf nimmt?“ (Doyle)
"Es mag ein Uhr nachts gewesen sein, ich erinnere mich, daß der Mond durch die
farbigen Fensterscheiben schien. Ich saß und grübelte. Plötzlich hörte ich ein
Geräusch. Zuerst war es ganz leise, gerade nur ein Ticken, dann wurde es lauter
und bestimmter, es war ein deutliches Rat-tat-tat. Jetzt kommt das seltsame
Zusammentreffen, die Situation, woraus Legenden entstehen, wenn die
Leichtgläubigkeit dabei die Hand im Spiele hat. Sie müssen wissen, daß meine
Frau eine eigentümliche Art hatte, an die Tür zu klopfen. Es war eine richtige
kleine Melodie, welche sie mit ihren Fingern spielte. Ich tat es in derselben
Weise, so konnte jeder von uns wissen, wenn der andere klopfte. Kurz und gut, es
schien mir – selbstverständlich war ich geistig überanstrengt und müde –, als ob
das Tippen sich zu dem wohlbekannten Rhythmus ihres Klopfens formte." (Doyle)
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