Ein Café in Paris. Ein alter Mann, seines
Wissens ehemaliger Husar unter Napoleon, erzählt
den Anwesenden seine Abenteuer.
Gérard, so sein Name, zeigt sich als ergebener
Patriot mit unbestechlichem Gehorsam gegenüber
seinem heißgeliebten Kaiser. Doch sei er nicht
nur Soldat, nebenbei, so betont er, sei er auch
sehr gebildet und bewandert in Kunst und Kultur,
zudem ein großer Kenner und Liebhaber von
Pferden und Frauen.
Doyle schuf eine charmante Figur, die
vordergründig als eitel, selbstverliebt und
hochstablerisch erscheinen mag. Aber wie Gérard
scharfsinnig feststellt: er ist weit davon
entfernt, von seinen Vorzügen eingenommen zu
sein. Warum sollte es auch frevelhaft sein, die
eigenen Vorzüge in dem Maße zu loben, wie es ein
Dritter ebenso tun würde, sofern alles der
Wahrheit entspricht.
Was Gérard jedoch nicht mitbekommt, ist, daß
sich sein Autor manchesmal genötigt sieht, ihn
kurz auszublenden und kommentatorisch
einzugreifen, weil Gérards Eigenwahrnehmung im
Kriegsgetümmel verständlicher Weise etwas leidet
(in „Das Verbrechen des Brigadiers“; Band I). So
gerät Gérard als Späher im englischen Bezirk
zufällig mitten in eine Fuchsjagd der trotz
Krieg sportbegeisterten Engländer. Hier ergreift
ihn der Rausch, er vergißt den Krieg, verstößt
gegen sämtliche (englische) Regeln, tötet den
Fuchs, das empörte Schreien der Engländer hinter
ihm deutet er als Freuden- und Anfeuerungsrufe,
zu seinem Glück endet die Jagd an der Grenze des
eigenen französischen Lagers. Don Quijote läßt
grüßen.
Unser Held ist nicht nur tapfer, edelmütig und
kämpferisch. In gleichem Maße tritt er hier und
dort in Fettnäpfchen, wird ständig an der Nase
herum- und hinters Licht geführt. Trotz allem
bewältigt er spielerisch die allerheikelsten
Situationen, in die er sich oft selbst gebracht
hat. Er rettet sogar Napoleon das Leben und
hätte ihm, da können wir sicher sein, auch die
Weltherrschaft gesichert, wären da nicht „höhere
Gewalten“ dazwischengekommen. Hier steht er
Münchhausen in nichts nach.
Die Abenteuer des Brigadier Gérard – ein
wundervolles Werk und eine spitzfindige
Charakterstudie, agierend auf dem Schachbrett
des kollektiven Kriegs- und Größenwahns, unter
der Herrschaft eines etwas zu kurz geratenen und
moppligen Kaisers. Unter der Flagge von
Patriotismus, Personenkult und Länderklau war
echtes Heldendasein noch möglich.
Quelle