Verlag 28 Eichen


Das Jahr 2020

Sehr geehrte und liebe Autoren, Übersetzer, Herausgeber und Freunde des Verlages und nicht zuletzt: liebe Leser,

neun Titel sind im vergangenen Jahr im Verlag 28 Eichen neu erschienen, ein ganz guter Durchschnitt, mit einem unleugbaren Schwerpunkt bei der kanadischen Autorin Lucy Maud Montgomery. Eine Kinderbuchautorin, deren Geschichten auf dem Prince Edward Island angesiedelt sind, einer Insel so ziemlich am Rande der Zivilisation überhaupt. Wem es jetzt in den Kopf kommen sollte: ja, so ungefähr leben wir jetzt wohl gerade auch – wie auf einer Insel und weitab der Zivilisation. Es gab Nachrichten, dass durch die Corona-Isolation der Buchabsatz und vor allem der Absatz von eBooks gestiegen sei. Das kann ich nicht bestätigen. Allerdings ist er auch nicht eingebrochen.

Zurück zur Kinderliteratur. Diese (zumindest aktuelle) Schwerpunktverlagerung in der thematischen Ausrichtung des Verlages ist nicht so überraschend, wie sie ausschauen mag. Gute Kinderliteratur ist gute Literatur und hat als solche einen Platz in meinem Verlag. Möglicherweise brauchen wir gute Literatur für Kinder sogar nötiger als für Erwachsene. Aber wie dem auch immer sei: ich erinnere mich gut und gern an Bücher, die ich als Kind gelesen habe, und habe dieses Vergnügen bis heute nicht verlernt. Sollten Sie nicht glauben, dass die kanadische Star-Autorin hier eine der besten Autorinnen ist, schauen Sie doch mal in Ihre Bücher rein, und Sie werden überrascht sein, wie lebendig und vor allem kraftvoll sie ihre Protagonisten gezeichnet hat. Die Autobiographie der Autorin („Der Alpen-Pfad“) ist eine schöne Ergänzung und wahrscheinlich auch zugleich der Schlußpunkt der kleinen (12bändigen) Montgomery-Reihe.

Zwei Bände deutscher Gegenwartsautoren (Alm und Meistermann) zeigen erneut, wie schwer es deren Werke haben, sich auf dem einheimischen Buchmarkt zu behaupten – ohne eine millionenschwere Werbekampagne, wie sie jüngst der Drogerieketten-Besitzer Rossmann losgetreten hat, um seinen Band „Der neunte Arm des Oktopus“ in die Spiegel-Bestseller-Liste zu prügeln. Nicht genug dessen, machte der Spiegel sogleich eine mehrseitige Story daraus. Mir wird bei der Lektüre des Artikels (nicht des Buches – ich werde mich hüten!) leicht übel. Und es fanden sich doch tatsächlich ausreichend Leute, die diesen Band kauften. Wahrscheinlich jedenfalls, denn Bestsellerlisten ist nicht zu trauen. Das Interessante daran ist nicht nur, dass Rossmann zeigt, wie es geht (wenn man bereit ist, viel mehr Geld in ein Buch zustecken, als jemals herauskommen wird), sondern gleichzeitig vorführt, wie sich Sympathie- und Umfragewerte in der Politik erzielen lassen: auf die gleiche Weise nämlich. Presse und andere Medien müssen nur dazu gebracht werden, laut und anhaltend zu trommeln. (Ich verzichte darauf, diesen Aspekt weiter zu verfolgen – Sie wissen ohnehin, was ich meine.)

Ein Blick voraus: Mit Eleanor Porter und Jean Webster sollen Übersetzungen von zwei weiteren amerikanischen Autorinnen aus dem Bereich der Jugendliteratur folgen, die in ihrer Ursprungsheimat einen großen Namen hatten und wohl noch haben. Ob sich das nach Deutschland übertragen läßt, ist ungewiß, vor allem für einen kleinen Verlag. Aber wir werden sehen, und ich bin optimistisch, zumal zwei Übersetzerinnen daran arbeiten, die ein Gespür für diese Literaturart besitzen. Nach dem Band „Faszinierendes Edinburgh“ von Stevenson soll mit „Faszinierendes Silverado“ ein weiterer kurzer Band seiner Reiseberichte folgen. Für Stevenson-Kenner sind beide Titel eine unverzichtbare Lektüre, für den Gelegenheitsleser bieten sich überraschende Einsichten in das Kalifornien aus dem Jahr 1880 – ein argloser Schotte im Ausland, könnte man den Text – in Anlehnung an Mark Twain – charakterisieren. Und wie immer muß sich der Autor mit zwei seiner Grundübel herumschlagen: Mangel an Geld und Mangel an Gesundheit.

Die größte Überraschung aber kündigt sich mit „Das Reich der Phantasie“ an, dem 2. Supplement-Band der 44bändigen Conan-Doyle-Reihe. Doyle erweist sich als belesener Kenner der klassischen englischen Literatur und wagt einen weitausholenden Streifzug in dieses Buch-Universum. Der Band gewinnt außerordentlich durch einen sorgfältig erarbeiteten Anmerkungsapparat des Übersetzers.

Dieser Bericht geht der Jahresabrechnung 2020 voraus, und dieser zeigt an so mancher Stelle das unveränderte Problem der Vermarktung einiger Titel. Ich habe wiederholt der Versuchung widerstanden, einzelne Titel wegen mangelnden Absatzes aus dem Programm zu nehmen. Allgemein ist das in der Verlagslandschaft so üblich, und in größeren Verlagen wird das Ausjäten meist sogar sehr schnell gehandhabt. Bereits nach wenigen Jahren finden sich in den Angebotslisten dieser Verlage sogar geradezu klassischer Autoren mit ihren Titeln nicht wieder. Ich will das nicht allzusehr verdammen, denn es bedarf immer neuer Verkäufe, um alte Titel im Programm halten zu können. Vor allem im eBook-Bereich leben bei mir so gut wie alle Titel von dem Verkauf einiger Kinderbücher. Ökonomisch wäre es (und nicht nur im eBook-Bereich) sinnvoll, alte Titel aus dem Programm zu nehmen. Regelmäßig werde ich durch Mitteilungen von Lesern davon abgehalten, die zum einen erstaunt sind, erst jetzt auf meinen Verlag gestoßen zu sein und sich über einzelne ältere Ausgaben sehr freuen. Aber warum ist das so? Warum entdecken selbst Liebhaber z.B. von Conan Doyle meine Doyle-Reihe so spät? Ich hatte mich im vergangenen Jahr dieser Frage gewidmet und untersuchte, in welchem Umfang sich meine Titel tatsächlich in den Listen der großen Internet-Buchvertriebe wiederfinden. Das Ergebnis war erstaunlich.

Der Verlag 28 Eichen ist mit all seinen Titeln komplett im „Verzeichnis der lieferbaren Literatur“ (VLB) zu finden. Und das sollte auch so sein; jeder dort gelistete Titel, auch jedes eBook, wird bezahlt, und das jedes Jahr aus Neue. Gesellschafter ist der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, und sämtliche Buchhandlungen bedienen sich bei der Literatur-Recherche in dieser Datenbank. Theoretisch. Praktisch aber erreichen mich immer wieder Hinweise, daß Buchhändler Titel meines Verlages nicht finden können. Sogar die Lieferdienste der großen Internetanbieter sind dazu gelegentlich nicht in der Lage. Gekrönt wird dieses Versagen durch Mitteilungen an den kaufwilligen Interessenten, der eine oder andere Titel sei nicht mehr lieferbar. Was nun tatsächlich kein Fehler aus Unfähigkeit mehr ist, sondern eine absichtliche Falschauskunft.

Meine eigene Recherche ergab, daß kein einziger Großhändler mein Angebot korrekt und vollständig wiedergab. Mal waren mehr, mal weniger Titel zu finden. In einem Fall sogar ausschließlich eBooks und keine einzige Printausgabe. In einem anderen Fall wurden sogar mehr Titel meinem Verlag zugeordnet, als ich tatsächlich anbiete. Ein häufiger Datenbankfehler. Ich schrieb daraufhin die Händler an und war zuversichtlich, für meine Hinweis Dank zu ernten – im gemeinsam verbindenden Interesse eines besseren Absatzes. Ich weiß, die Realisten unter Ihnen lächeln jetzt nur. Und Sie haben Recht. Ich erhielt keine Antwort. Keine einzige. Anzufügen bleibt, daß gezielte Suchaufträge die Titel meines Verlages unvermeidlich weit hinten in den Ergebnissen aufführen. Auch das ist kaum ein Zufall. Mittlerweile hat sich mein Vertrauen in die Kenntnis und Redlichkeit der Buchhändler so ziemlich aufgebraucht. Erfreuen wir uns an den Ausnahmen.

In diesem Lichte betrachtet sind die Umsätze des Verlages gar nicht so übel, könnte man annehmen. Nun, ich bin anderer Ansicht. Gemessen an dem tatsächlich zu erwartenden Leserinteresse, erreiche ich mit meinem Verlag momentan nur einen kleinen Bruchteil des möglichen Absatzes. Werfe ich einen Seitenblick auf die weitaus größeren Verkaufszahlen, die größere Verlage durch ihren massiven Werbeeinsatz zugunsten weitaus schlechterer Bücher erzielen, kann ich nur den Kopf schütteln – und einen fortschreitenden Kulturverlust konstatieren. Es geht zweifelsohne abwärts mit der deutschen Verlagslandschaft – und der Sektor der eBooks ist hier sogar ein Vorreiter –, wenn nicht gar mit der deutschen Kultur insgesamt. Was können wir tun? Stemmen wir uns dagegen!

Damit darf ich unmöglich schließen. Und so möchte ich anfügen, daß in den ersten Wochen des neuen Jahres 2021 eine kleine aber anhaltende Nachfrage nach Titeln aus der Conan-Doyle-Reihe zu verzeichnen ist. Das freut ich ungemein, da ich fest daran glaube, daß das Potential dieser Buchreihe noch lange nicht erschöpft ist. Auf der anderen Seite enttäuscht mich das anhaltend ausbleibende Echo auf die Titel meiner Gegenwartsautoren, deren Texte in einigen Fällen zu den besten zählen, die die deutsche Gegenwartsliteratur zu bieten hat. Das ist meine Überzeugung.

Olaf R. Spittel